Wie verändern Klimawandel und Pandemie die Stadtentwicklung in Hamburg?
Hamburg, 10. Mai 2022. Das Bündnis Hamburger Bau- und Ausbauwirtschaft (HBAW) veranstaltete am 10. Mai 2022 eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Wie verändern der Klimawandel und die Pandemie die Stadtentwicklung und das Bauen in Hamburg?“. Nach einer Grundsatzrede von Hamburgs Erstem Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher erörterten fünf Diskutanten im Ausbildungszentrum Bau in Hamburg-Steilshoop, wie man den Auswirkungen dieser epochalen Ereignisse begegnen kann. Im Anschluss haben die rund 180 geladenen Gäste die Möglichkeit gehabt, den Experten Fragen zu stellen.
Unter der Moderation von Mathias Iken, stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, wurd kontrovers diskutiert, mit welchen neuen Impulsen und Maßnahmen der Stadt, der Bauexperten, Architekten, der Bauwirtschaft auf den Klimawandel und die Pandemie begegnen kann und muss.
Podiumsteilnehmer waren:
- Monika Thomas, Staatsrätin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen
- Andreas Breitner, Direktor Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen
- Prof. Dr. Jörg Knieling, HafenCity Universität/ BUND Hamburg
- Alexandra Czerner, Architektin und Stadtplanerin, czerner götsch architekten
- Dr. Tilmann Quensell, Repräsentant Hamburger Bau- und Ausbauwirtschaft
Zitate aus der Diskussion
Dr. Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg: „Die Anforderungen des Klimaschutzes und der Trend zum Home-Office verändern das Bauen und die Stadtentwicklung in Hamburg. Telearbeit und moderne Bürokonzepte verringern den gewerblichen Büroflächenbedarf, eine hohe HomeOffice-Quote und flexible Arbeitszeiten können das gesamtstädtische Verkehrsaufkommen verändern. Die Stadtentwicklung muss diese Trends berücksichtigen, die Quartiere als Orte des Lebens und Arbeitens stärken und passende Mobilitätsangebote sicherstellen. Hohe Baustoffpreise, Fachkräftemangel und eine Störung der Lieferketten sind Risiken für die Bau- und Ausbauwirtschaft, die zu einem weiteren starken Anstieg der Baukosten führen können. Hinzu kommen höhere Anforderungen an nachhaltige Bauweisen und energetische Sanierungen. Es bleibt ein zentrales Ziel des Senats, günstige immobilienwirtschaftlichen Kosten für die Unternehmen und bezahlbare Mieten für die Bürgerinnen und Bürger zu erhalten.“
Michael Seitz, Sprecher der Hamburger Bau- und Ausbauwirtschaft in seiner Begrüßungsansprache: „Das Ziel, einerseits die Wohnungsmieten für einen großen Teil der Bevölkerung erschwinglich zu halten und das ebenso wichtige Ziel, klimafreundlich zu bauen, bilden schon für sich genommen einen schwer zu lösenden Gegensatz, denn Klimaschutzmaßnahmen erfordern Investitionen, kosten Geld und treiben daher tendenziell auch die Wohnkosten in die Höhe. Der Ukraine-Krieg und die dadurch explodierenden Kosten für viele Baustoffe verschärfen die ohnehin bestehende Problematik noch einmal zusätzlich. Aber: In jeder Herausforderung liegt auch eine Chance für Innovation und Aufbruch, für neue Ideen.“
Monika Thomas, Staatsrätin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen: „Der Klimawandel bestimmt bereits in erheblichem Maße die Stadtentwicklung in Hamburg. Um die Klimaschutzziele zu erfüllen, werden wir in den nächsten Jahren die Energieeffizienz des Wohnungsbestands durch weitere Modernisierungen deutlich erhöhen und eine klimafreundliche, nachhaltige Energieversorgung implementieren. Für Neubauvorhaben im sozialen Wohnungsbau prüfen wir nach dem Wegfall der Bundesförderung derzeit ein Förderangebot für energetisch anspruchsvolle Standards.
Unsere Stadtentwicklungspolitik – insbesondere die sozial ausgewogene und klimafreundliche Entwicklung der großen Stadtentwicklungsgebiete – berücksichtigt aber nicht nur den Klimaschutz, sondern auch die Anpassung an den Klimawandel mit dem Ziel einer Klima-Resilienz.
Es bleibt unser vorrangiges Ziel im Bündnis für das Wohnen in Hamburg, gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft und den Kammern bezahlbares Wohnen in Hamburg durch Neubau, Förderangebote, Flächenbereitstellung und Bestandssicherung zu erhalten und zu schaffen. Darum ist es wichtig, dass wir die notwendigen Prozesse der Transformation mit einem Höchstmaß an Effizienz umsetzen. Energie muss nicht nur eingespart werden, sondern von vornherein CO2-neutral und mit den wirtschaftlichsten Technologien produziert werden.
Die Umstände der Pandemie haben die Art, wie wir wohnen und vor allem arbeiten, stark beeinflusst. Vieles davon wird bleiben, z. B. Fortschritte der digitalisierten Arbeitsprozesse und eine verstärkte Nutzung des Homeoffice. Das kann den Bedarf an Büro- und Einzelhandelsflächen sowie Übernachtungskapazitäten in Zukunft verändern. Darum denken wir verstärkt über innovative Umnutzungsmöglichkeiten nach und sehen auch die Chancen und die Notwendigkeit für eine weitere Belebung der Hamburger Innenstadt. Mit unseren Ansätzen zur integrierten Planung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit für die neuen Entwicklungsgebiete, aber auch im Bestand, sind wir auf dem richtigen Weg.“
Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen: „Wir unterstützen die klimapolitischen Ziele des Hamburger Senats. Allerdings darf beimRingen um den Klimaschutz das bezahlbare Wohnen nicht außer Acht gelassen werden.Das Wohnen in Hamburg muss weiterhin auch für Menschen bezahlbar bleiben, die nur über ein mittleres oder geringes Einkommen verfügen. Voraussetzung dafür, dass Klimaschutz und bezahlbares Wohnen gemeinsam funktionieren, sind Pragmatismus und Technologieoffenheit. Hier eignet sich vor allem der von der SAGA entwickelte Quartiersansatz. Dabei wird eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes durch unterschiedliche technische Lösungen auf Quartiersebene umgesetzt. Das ist nachhaltig und gefährdet nicht die niedrigen Mieten.
Zudem ist mehr Wohnraum in der Hamburger Innenstadt die richtige Antwort auf die aktuellen Auswirkungen der Pandemie. Hier führen mehr Wohnungen zu mehr Licht, Bewegung und sozialer Kontrolle. Allerdings ist angesichts der astronomischen Grundstückskosten in Hamburgs Innenstadt das bezahlbare Wohnen bislang reine Utopie. Hier muss die Stadt ansetzen, um zu verhindern, dass nur Reiche sich teure Luxusappartements leisten können.“
Prof. Dr. Jörg Knieling – HafenCity Universität/ BUND Hamburg: „Die Pandemie unterstreicht, wie wichtig Hamburgs Grün für die Lebensqualität der Bevölkerung ist: Wir benötigen deshalb konsequente Anstrengungen, wie Netto-Null-Flächenverbrauch zur Maxime der Stadtentwicklung werden kann: Grünflächen konsequent schützen, Verkehrsflächen entsiegeln, Wohnungsbau auf Gewerbe- und Verkehrsbrachen, den Hamburger Hafen für Wohnen neu denken, Bürogebäude und Bundeswehrimmobilien für Wohnen umnutzen, die Wohnfläche pro Person senken und so Nachhaltigkeit bewusst leben.“
Alexandra Czerner, Architektin und Stadtplanerin, czerner götsch architekten: „Die wachsenden Städte brauchen dringend mehr Grünflächen. Nur die Sicherung vorhandener Grünflächen in Städten reicht nicht aus um bedrohliche Luftkennwerte und Überhitzungen sowie die Grundwasser- Problematik ganzheitlich in bestehenden Stadtgebieten zu lösen. Dies betrifft alle Städte und alle Länder. Neue Grünflächen und Parks einfach „dazwischenzaubern“ geht nicht. Möglich ist es jedoch die vertikalen Flächen der Fassaden zu nutzen. Die große, ungenutzte Flächenressource der Städte sind die geschlossenen Fassadenflächen, die durch bodengebundene Begrünung, welche am wertvollsten für die Grünsicherung, wartungsarm und kostengünstig ist, in den unteren Etagen und durch Pflanzkästen und Pflanzsysteme in höheren Lagen ökologisch aktiviert werden. Damit würde die Luft gereinigt, Sauerstoff produziert und im Sommer die überhitzten Fassaden verschattet und gekühlt werden. Fassadenbegrünungen sind ganzheitlich bauphysikalisch und klimawirksam als Bestandteile von Städtebau und Architektur zu denken, um die bestehenden klimaschädlichen Stadtstrukturen zu „heilen“.“
Dr. Tilmann Quensell, Repräsentant der Hamburger Bau- und Ausbauwirtschaft: „Das Recycling von Baumaterialien spart natürliche Ressourcen und Transportwege und reduziert damit CO2. Hochwertiges Recycling kostet Geld, benötigt neue Technologien und genehmigte Anlagen. Die Investitionen müssen durch eine langfristige und berechenbarePolitik abgesichert sein. Die Recyclingindustrie benötigt aufgrund der komplexen Anforderungen, die heute an Genehmigungen gestellt werden, einen mehrjährigen Vorlauf. Das bedeutet, bei der Vergabe von öffentlichen, aber auch privaten, Bauaufträgen muss sich die Vergabepraxis ändern. Es sollte nicht mehr nur der Preis sein, der in erster Linie darüber entscheidet, wie gebaut wird, sondern es müssen andere Kriterien zur Anwendung kommen.“